So viele Rassen es an Schafen gibt, so viel unterschiedliche Wolle gibt es. Und nicht nur das. Auch wo und wie das Schaf lebt, was es frisst, wieviel Regen es ausgesetzt ist, wieviel Stress es hat, ob es gelammt hat oder nicht und noch vieles mehr hat Einfluss auf die Wolle. Und so haben sich die Menschen, die mit Wolle gehandelt haben, schon immer mit der Zu- und Einordenbarkeit der Wolle, ihrer Qualität und ihrer Feinheit beschäftigt.
Schon seit der Bronzezeit bewerteten die Menschen die Wolle anhand ihrer optischen und taktilen Eigenschaften – also wie sie ausschaut und wie sie sich anfühlt. Sie sortierten die Wolle nach ihrer Feinheit, dem Crimp – also wie gekräuselt sie ist -, der Farbe und nach der Faserlänge und Faserbrüchigkeit. Daran hat sich bis heute nicht verändert, nur die Methoden, die verwendet wurden, haben sich enorm verfeinert. Heutzutage spielt auch die DNA der Schafe bei der Beurteilung eine Rolle. Natürlich wussten die Menschen damals – sogar schon vor der Bronzezeit – um die Zuchtmöglichkeiten – wenn sie auch nicht von der DNA wussten. Rund 3000 vor Christus begannen sie mit der Zucht von Schafen. In der Bronzezeit gab es schon Schafrassen in Westasien, die ähnlich zu unseren heutigen sind. Von dort aus kamen die Schafe dann nach Nordafrika und Europa. Im antiken Griechenland – ungefähr um 200 vor Chr. – wurden Schafe, deren Züchtung und sogar die Produktion von Schafwollprodukten in den Schriften von Virgil, Varro und Columella beschrieben. Demnach gab es wohl bis zu 10.000 Schafe an einem einzigen Bauernhof.
Die Züchtung von feineren Wollschafen wurde perfektioniert und so entstand auch das Merinoschaf. Das Merinoschaf war so begehrt, dass es sogar ein Ausfuhrverbot aus Spanien für diese Schafe gab. Erst 1789 schenkte der spanische König Charles IV 6 Merinos der holländischen Regierung. Später gelangte es dann nach Australien, wo sich eine echte Industrie rund ums Merinoschaf aufbaute.
Und alles, was Industrie heißt, heißt auch Messen, Wägen und Dokumentieren. 1924 wurde nun in Australien die IWTO – die Internationale Wollhandelsorganisation – mittels eines Vertrages zwischen Großbritannien und Frankreich gegründet. In den folgenden Jahren kamen Länder wie Deutschland, Belgien, Italien und der Tschechoslowakei dazu. Bald wurde der Ruf nach der Standardisierung der Wolltestung laut und so wurden die Verfahren von der American Society for Testing and Materials (ASTM) übernommen. Die Testverfahren wurden verfeinert und so wurde 1957 die AWTA LTD – die Australian Wool Testing Authority Ltd – gegründet.
1970 kam es dann zum Australian Objective Measurement Project – zur Erforschung von standardisierten Verfahren, um Wolle zu vermessen. Diese Verfahren wurden dann ab 1972 zum Maßstab für den Handel. Natürlich gab es seit den 80er Jahren weitere Verfeinerungen und Anpassungen. Die Ergebnisse dieser Messungen haben einen enormen Einfluss auf die Preisgestaltung der Rohwolle – sie kann zwischen 1 AU Dollar pro Kilo und 500 AU Dollar pro Kilo liegen.
Die zugrunde liegenden Messungen betreffen nun:
- Den Faserdurchmesser – je geringer dieser ist, desto höher ist der Preis. Das ist auch der wichtigste Messfaktor
- Ertrag an sauberer Wolle – je höher dieser Ertrag ist, desto höher ist natürlich auch der Preis
- Einstreu in der Rohwolle – je mehr Einstreu vorhanden ist, desto geringer ist der Preis, da das Entfernen von Pflanzenmaterial sehr kostspielig ist.
- Die Art der Wolle – an welchem Körperteil die Wolle gewachsen ist, hat auch einen Einfluss auf den Preis – die Beine haben einen sehr viel geringeren Preis als der Hals.
- Die Stapellänge – zu kurze und zu lange Wolle haben einen geringen Preis
- Die Stapelstärke – wie leicht kann sie brechen? – je stärker die Faser, desto höher ist der Preis.
- Auch die Position, wo der Stapel dann bricht, hat einen Einfluss auf den Preis
- Die Farbe der Wolle – je weißer die Wolle ist, desto höher ist ihr Preis
- Chemische Verschmutzungen durch zB. Pestizide und Umweltgiften verringern den Preis ebenso.
Und wie geht nun so ein Testvorgang vor sich?
Es wird ein Core-Sample entnommen – dh. aus einem gepressten Wollballen wird eine Probe aus der Mitte des Ballens genommen. Dies erfolgt nach einem standardisierten Verfahren mittels Maschinen. Je 12.000 kg wird 150 gr Probenmaterial entnommen. Und in diesem Verfahren wird jeder Ballen untersucht. Die Berechnung für die Minimumzahl der Probenentnahmen findet ihr auf der Seite des Woolmark trainingcenters – ich habe euch die Seite wieder verlinkt.
Für die weiteren Testungen werden ein Projektionsmikroskop, ein Laserscan, ein Airflow und ein OFDA benötigt.
Das Projektionsmikroskop ist ein Mikroskop, das die Aufnahme auf eine transparente Bildwand projiziert – die Darstellung wird besser sichtbar.
Der Laserscan tastet die Oberfläche der Probe ab und kann somit über Oberflächenstrukturen Informationen bereitstellen.
Der Airflow kann den Durchmesser durch Strömungswiderstand messen.
Und der OFDA – ausgeschrieben heißt das “The optical fibre diameter analyser“, was soviel wie optische Faserdurchmesseranlyse bedeutet – misst den Querschnitt der Faser.
Wie diese nun genau funktionieren, habe ich euch unten in den shownotes verlinkt.
Die Testung der Wollprobe muss unter standardisierten Bedingungen stattfinden, da sonst die Ergebnisse nicht verglichen werden könnten. So ist es unter anderem auch wichtig, den genauen Feuchtigkeitsgrad einzustellen. Auch ist ein standardisiertes Waschverfahren notwendig, um den Verschmutzungsgrad genau feststellen zu können.
Danach wird die Probe mit NaOH, also Natriumhydroxid – (im gelösten Zustand heißt es auch Natronlauge) behandelt, um organisches Material zu entfernen. Das entfernte Material wird danach gemessen.
Die Menge des verbleibenden Wollfettes wird nur das Spülen mit Ethanol – wir kennen Ethanol unter dem Begriff Spiritus – gemessen. Die anschließende Differenzmessung des Wollgewichtes bestimmt diesen Gehalt.
Der Restgehalt an Verschmutzung wird über Veraschung gemessen. Dabei wird die Wolle auf 750 Grad Celsius erhitzt. Da Wolle kaum entzündbar ist, verascht nur das Beimaterial, das dann gemessen werden kann. Über die Brennbarkeit von Wolle bzw. über ihren Selbstlöschmechanismus werde ich ein anderes Mal sprechen.
Die nun verbleibende Wolle wird nun gewogen und ins Verhältnis zur Rohwolle gesetzt. Je mehr Gewicht nun durch diesen Reinigungsprozess abfällt, umso weniger Wert hat die Wolle und umso weniger Profit kann am Weltmarkt gemacht werden.
Weitere Messtechniken und die Anleitung zu diesen Messungen findet ihr im woolmark trainingscenter. Übrigens das Woolmarkzeichen kennt ihr bestimmt, es wurde 1964 von der IWTO erfunden und ziert alle geprüften Wollprodukte. Ihr findet es aber auch auf jedem Wollwaschmittel. Den link zu diesem Zeichen findet ihr natürlich in den shownotes.
Derzeit gibt es 6 IWTO Labore, die solche Messungen zertifiziert vornehmen können. Das nächstgelegene Labor befindet sich in North Wales, das wiederum sich seit dem Brexit außerhalb der EU befindet. Welche Ausreisebestimmungen für Rohwolle aus der EU nach Großbritannien zurzeit nötig sind, kann ich euch leider noch nicht sagen, aber ich werde es recherchieren.
Was halte ich nun persönlich von diesen Zertifizierungen. Einerseits verstehe ich die Industrie, wenn sie nur die beste Qualität verarbeiten möchte. Ich verstehe die Einkäufer, die genau wissen wollen, welches Produkt sie kaufen. Auch ich habe mit der Verschmutzung der Rohwolle zu kämpfen – es kam auch schon vor, dass von 100 kg gekaufter Rohwolle gerade einmal 20 kg gesponnene Faser herauskam, da der Boden, auf dem die Schafe stehen, sehr lehmig war und die Fasern voll davon.
Andererseits verleitet uns diese Art der Messung dazu, das Schaf nicht mehr als Tier, als Lebewesen zu sehen. Es wird zur Produktionsmaschine, die gefälligst sauber zu sein hat. Dabei werden unterschiedliche Techniken zur Erhaltung der Sauberkeit der Wolle angewandt – zB durch Abdeckung der Wolloberfläche oder durch Stallhaltung. Solche Standards verleiten einfach dazu, von Tierhaltung auf Produktion umzustellen.
Außerdem wird der Fokus auf eine Sorte von Wolle gelenkt. Je weicher, je weißer, desto höher ist der Preis. Alte, widerstandsfähige Schafrassen bleiben dabei oft auf der Strecke und sind vom Aussterben bedroht. Um eine Artenvielfalt zu erhalten, die dann gesunde, starke Lämmer zur Welt kommen lässt, muss auch das Augenmerk auf Diversität gelenkt werden und dahingehend auch der Preis gelenkt werden. Unter dem Motto: jede Wolle ist wertvoll – wir müssen sie nur richtig einsetzen – kann so eine Artenvielfalt wieder wertvoll werden. Es ist nicht sinnvoll, dünne, feine Fasern für Socken zu verwenden, um sie dann mit viel Plastik haltbar zu machen. Auch wenn uns die Industrie das einreden mag. Dafür gibt es andere Wollsorten.
Auch der Umweltgedanke spielt dabei eine Rolle: warum sollte ich denn Wolle färben, wenn es wunderbare Naturfarben gibt? Die Palette reicht von weiß über gelb, braun, grau bis anthrazit und schwarz und in Mischungen alles dazwischen.
Standardisierte Verfahren führen zu standardisierten Produkten – was natürlich die Kaufsicherheit und die Preissicherheit gewährleistet. Wir befinden uns in einem großen Dilemma – wollen wir Artenvielfalt oder Kaufsicherheit? Und dieses Thema betrifft nicht nur die Wolle – sie betrifft auch unsere Lebensmittel – angefangen von den Gurken über die Äpfel bis zu Milchabgabemenge.